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So unterschiedlich berichteten Leitmedien über die Silvesterkrawallen

Über die Berichterstattung zu den Krawallen in der Silvesternacht wurde auch in diesem Jahr in Nachrichtenredaktionen wieder viel diskutiert. Denn einiges erinnerte an den Jahreswechsel 2015/2016. Wieder eine gewaltsame Nacht und die Frage, ob Medien das Thema rechtzeitig erkannt und bespielt haben. Wieder eine gewaltsame Nacht, bei der sich die Frage nach den Tätern stellt – und anschließend wieder über ihre Herkunft als Teil des Problems diskutiert werden würde.

Wie sind die deutschen Leitmedien mit den Silvesterkrawallen und den sich ergebenden Fragestellungen umgegangen? Einen Teil der Antwort trägt der Agenda-Setting-Monitor von Medieninsider bei. Für ihn hat das Analyse-Start-up azernis die Berichterstattung elf großer Digitalpublisher ausgewertet. Die Analyse gibt Aufschluss darüber, wann und in welcher Taktung Medien Artikel zu diesen Thematiken veröffentlicht haben. Es handelt sich also um eine quantitative Erhebung, die Qualität der Berichte wurde nicht bewertet. Dennoch lässt die Untersuchung Rückschlüsse auf die Schwerpunkte in der Berichterstattung zu. Ausschlaggebend für die Erhebung waren die Veröffentlichungen auf den Top-20-Positionen der Startseiten.

Auf den Startseiten der untersuchten Titel erschienen im Untersuchungszeitraum vom 1. bis zum 8. Januar 2023 265 Artikel mit Bezug zu den Silvesterkrawallen. 51 Mal wurde das Thema im Aufmacher behandelt.

Die meisten Artikel veröffentlichte die Welt, die wenigsten erschienen beim Digitalauftritt des Stern. Die meisten Aufmacher produzierte Focus Online. Am 4. Januar hob die Redaktion gleich vier Artikel dazu auf die Top-Position. Bei Focus Online erschienen insgesamt mehr als die Hälfte der 30 veröffentlichten Artikel als Aufmacher. Beim RND hingegen gab es genau so viele Artikel, aber nur zwei Aufmacher. Die wenigsten Aufmacher erschienen bei NTV. Die Nachrichtenmarke von RTL Deutschland hob das Thema kein einziges Mal auf ihre Top-Position. Hier muss man einschränkend erwähnen: In der Mobilansicht von NTV ist der Ukraine-Liveticker aus technischer Sicht immer der Aufmacher. Es folgen feste Elemente wie Der Tag, Der Börsen-Tag und Der Sport-Tag. Dann kommt die Rubrik Nachrichten. Darin war Silvester mindestens zweimal am höchsten positioniert.

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Am Neujahrstag berichteten neun Publisher über Angriffe auf Rettungskräfte an Silvester. Die Debatte zur Herkunft der Täter wurde indirekt von der Welt eröffnet. In einem Meinungsbeitrag brachte sie die Angriffe auf Feuerwehr und Polizei in Berlin in Verbindung mit dem Kulturkampf um Sprechverbote. Der Autor geht darauf ein, dass das Wort „südländisch“ von der Polizei Berlin nicht mehr zur Täterbeschreibung verwendet werden solle und plädierte dafür, die Prioritäten aufgrund der Angriffe auf die Polizei in der Silvesternacht anders zu setzen. Die übrigen Publisher berichteten, dass es Angriffe auf Beamte gegeben habe. Sie veröffentlichten Überblicke über Feuerwehr- und Polizeieinsätze im ganzen Land. RND und die Tagesschau berichteten online nicht von Angriffen auf Rettungskräfte. Bild sprach in einem Video vom „Silvester-Wahnsinn“ und später von einer “Schlacht“.

Ins Laufen kam die Debatte einen Tag später. Zwar gab es von offizieller Seite noch keine Daten zu den Verhafteten, Medien stützten ihre Berichterstattung allerdings auf Bild- und Videomaterial sowie Augenzeugenberichte. Bild veröffentlichte einen Kommentar und auch Focus Online bot Rainer Wendt die Möglichkeit, über die Täter im „Migrantenmilieu“ zu spekulieren. Beim Spiegel wurde die Debatte über die Herkunft der mutmaßlichen Täter indirekt über zwei Expertendarstellungen geführt. Ein Kriminologe und der Integrationsbeauftragte Neuköllns kamen zu Wort und lieferten ihre Einschätzung zu den Gründen der Gewalt auf der Aufmacher-Position sowie auf der zweithöchsten Position auf der Startseite. Auch der Stern fragte, wer die Täter seien, verzichtete aber auf eine Migrationsdebatte.

Welt veröffentlichte allein am 2. Januar insgesamt zehn Artikel zu den Ausschreitungen an Silvester und führte offen die Migrationsdebatte, indem über die Aussagen Jens Spahns berichtet wurde und in einem Kommentar Fehler in der Integration thematisiert wurden. Zeit Online berichtete ebenfalls über die Aussagen des ehemaligen Gesundheitsministers, befasste sich aber ansonsten mit den Gründen der enthemmten Gewalt. Daneben spielte auch der bessere Schutz für Polizei und Feuerwehr sowie das Böllerverbot bei den Publishern eine große Rolle.

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Am 3. Januar verkündete die Polizei Zahlen zu den Verhafteten, verzichtete aber auf Angaben über ihre Herkunft. Insgesamt erschienen mit 56 Artikel an diesem Tag die meisten Texte. Die Tagesschau berichtete in der Debatte über Aussagen zur „gescheiterten Integration“, während die Zeit sehr direkt in der Diskussion Kontra gab. Bei der Zeit wurde der Kommentar von Hasnain Kazim auf der Aufmacher-Position veröffentlicht. Ein weiterer Kommentar von Zett (erscheint bei Zeit Online),dass sich die Debatte auch ohne Rassismus führen ließe, wurde ebenfalls sehr prominent auf der zweiten Position der Startseite veröffentlicht. Die Bild konzentrierte sich am 3. Januar darauf, der Politik und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorzuwerfen, über die Herkunft der Täter zu schweigen und die Debatte zu fürchten. Eine Überschrift auf der zweiten Position der Startseite lautete: „So schwurbeln Politiker die Wahrheit weg“. Und auch die Welt befasste sich in ihren sieben veröffentlichten Artikeln überwiegend mit der Täterdebatte. Bei Focus Online erschien der Kommentar mit dem Titel „Mal ganz ehrlich: Was, wenn es da nichts mehr zu integrieren gibt?“ als Aufmacher.

Am 4. Januar befeuerte die Polizei-Veröffentlichung zur Herkunft der Festgenommenen die Debatte weiter. Insgesamt veröffentlichten die hier untersuchten Medien 55 Artikel. Verhielt sich die FAZ am Vortag noch sehr zurückhaltend, wurden am 4. Januar insgesamt vier Artikel veröffentlicht, von denen sich drei direkt mit dem Migrationshintergrund der Tatverdächtigen befassten. Der Stern verhielt sich in der ganzen Debatte weiterhin zurückhaltend. Am 4. Januar wurde allerdings ein Artikel veröffentlicht, der die mangelnde Informationslage zu dem Thema bedauerte. Die Welt führte weiterhin überwiegend die Täterdebatte in den Artikeln. Darauf stieg auch die Tagesschau ein, die wie Zeit Online eine differenzierte Betrachtung anmahnte.

Weitere Beachtung bei den Publishern erfuhren auch die Aussagen aus der Union über die SPD-geführte Hauptstadt, dass diese eine „Chaosstadt“ sei und die Mittel aus dem Länderfinanzausgleich gekürzt werden sollten. Die Bild nutzte die Debatte weiterhin, um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk anzugreifen. In einem Interview in den Tagesthemen am 2. Januar mit einem Feuerwehrmann sei die Herkunft eines mutmaßlichen Täters „vernebelt“ und die Sequenz „einfach“ herausgeschnitten worden. Diesen Vorwurf nahm auch Focus Online auf, erklärte allerdings auch alternative Möglichkeiten, wie es zu diesem Vorgehen kommen konnte.

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Auch am 5. Januar warf Bild dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk „politisch korrektes Geschwurbel” vor. Auch werde der Migrationshintergrund der mutmaßlichen Täter weiter verschwiegen. Online wurden jedoch schon am Vortag bei der Tagesschau die Aussagen von Innenministerin Faeser zu einem „großen Problem mit bestimmten jungen Männern mit Migrationshintergrund“ thematisiert.

Ab dem 5. Januar nahm die Berichterstattung zur Debatte bei allen Publishern ab. Lediglich Welt berichtete weiterhin in insgesamt neun Artikeln über die Vorkommnisse in der Silvesternacht und führte die Herkunftsdebatte gemeinsam mit Focus Online weiter.

Ab dem 6. Januar wurde die Täterdebatte nur noch selten, aber von denselben Publishern gefüttert. Bis einschließlich zum 8. Januar gab es keine direkten Artikel, dass es auch in anderen Städten zu massiven Problemen gekommen war, beispielsweise in Borna bei Leipzig.

Insgesamt zeigt sich, dass die Redaktionen zu unterschiedlichen Schlüssen in der Diskussion gekommen sind. Während Welt, Focus und Bild sehr leidenschaftlich die Täterdebatte geführt haben, blieben andere zumindest bis zur offiziellen Nennung der Nationalitäten der mutmaßlichen Täter zurückhaltend – beispielsweise bei der FAZ. Bis zur offiziellen Bestätigung wurde das Thema zurückhaltend auf Ebene des Böllerverbots und dem Schutz der Einsatzkräfte geführt. Erst danach wurde intensiv für einen Tag die Täterdebatte geführt.

Die Zeit entschied sich dafür, in der Debatte offensiv für mehr Differenzierung zu werben und nicht die Gründe für die Gewalt kausal mit der Herkunft der vermeintlichen Täter zu erklären. Die Tagesschau, als öffentlich-rechtlicher Vertreter in dieser Untersuchung, hat sich um einen Mittelweg bemüht und die Debatte beschrieben. Bild hingegen hat viele Möglichkeiten genutzt, um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk anzugreifen.

Methodik

​Für die Analyse wurden die Startseiten von elf überregionalen deutschen Online-Publishern analysiert: RND, Tagesschau, Zeit Online, Spiegel, FAZ, SZ, NTV, Stern, Welt, Bild und Focus Online.Im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 8. Januar wurden die Artikel in den obersten 20 Positionen der Startseiten der Publisher untersucht und ausgewertet.

Dieser Text erschien zuerst bei Medieninsider.com am 18.01.2023. Er ist im Original hier zu finden.

Über diesen Artikel

Geschrieben von Stefan Paulus

Publiziert am: 4/13/2023, 1:00:00 PM

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